Kunsthistorikertag diskutiert FORM FRAGEN

Geht es in der Kunst nur um die Form? Darüber diskutieren mehrere hundert Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker vom 23. bis 27. März 2022 in Stuttgart. Erstmals seit fast 40 Jahren ist der Deutsche Kunsthistorikertag wieder zu Gast an der Universität Stuttgart. Mit dem Motto knüpft die Konferenz an die programmatische Ausstellung „Die Form“ an, die 1924 vom Deutschen Werkbund in Stuttgart organisiert wurde. Damals wollte man die „gute Form“ definieren und hoffte, mit gutem Design Technik, Kunst und Leben zu versöhnen. Heute dagegen soll die Rolle der Form für die Kunstgeschichte kritisch befragt werden.

„Wir wollen mit dem Thema der Tagung zur Debatte stellen, wie heute über Form gesprochen werden kann. Uns interessiert dabei besonders, wie Formen in gesellschaftlichen Zusammenhängen entstehen und welche Beziehung sie zu Politik und Wertvorstellungen haben“, beschreibt Prof. Kerstin Thomas vom Institut für Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart die Kongressidee. Ihre Kollegin Prof. Daniela Bohde ergänzt: „Form wurde häufig als der Gegensatz von Inhalt gesehen, als ein unpolitisches Refugium. Die Diskussion der 1920er Jahre zeigt aber, dass der Formbegriff politische Utopien beförderte, aber auch dazu diente, eine nationalistische Agenda durchzusetzen.“

Form ist nicht nur ein methodischer Grundbegriff, der am Anfang der Kunst- und Architekturgeschichte steht, sondern auch ein Mo¬tor für neue Fragen: Was für eine Form hat digitale Kunst, wenn sie als Non-Fungible-Tokens (NFTs) auftritt, die den Kunstmarkt derzeit in Aufruhr bringen? Ist Form universell oder ist die Frage nach der Form der globalen Kunst ein koloniales Erbe?

Universitätsrektor Prof. Wolfram Ressel freut sich über die Gastgeberrolle für den Deutschen Kunsthistorikertag – die Schirmherrschaft hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann übernommen. Rektor Ressel unterstreicht die Tradition und Bedeutung des Instituts für Kunstgeschichte an der technisch orientierten Universität Stuttgart: „Unser Institut gilt als eines der ältesten kunsthistorischen Institute Deutschlands. Wir haben in den zurückliegenden Jahren mit einer personellen und programmatischen Neuausrichtung dafür Sorge getragen, dass die kunstgeschichtliche Forschung an unserer Universität einen sichtbaren und erfolgreichen Beitrag leistet für unseren Stuttgarter Weg der Integration von Ingenieur-, Natur-, Geistes- und Gesell-schaftswissenschaften“.

Daher ist auch die Architekturfakultät der Universität Stuttgart in die Planungen des Kunsthistorikertags eingebunden. „Die Architektur heute fragt im Hinblick auf Ressourceneinsparung nach Formfindung durch computergestützte Methoden und innovative Fertigungsverfahren“, führt Prof. Klaus-Jan Philipp, Leiter des Instituts für Architekturgeschichte, aus. Eine Podiumsdiskussion mit Stuttgarter Architekturprofessoren, dem Biennale-Teilnehmer Prof. Achim Menges und dem Partner von David Chipperfield Architects, Prof. Alexander Schwarz, vertieft diesen Aspekt.

Zu den Mitorganisatoren gehört auch die Staatliche Akademie der Bildenden Künste. Prof. Nils Büttner, Professor für Kunstgeschichte an der Akademie, freut sich insbesondere über die intensiven Kooperationen mit den renommierten Stuttgarter Museen, darunter Staatsgalerie, Landesmuseum Württemberg und Kunstmuseum, sowie dem Württembergischen Kunstverein: „Durch die aktive Beteiligung der unterschiedlichen Akteure und Akteurinnen aus Kunst und Kultur können wir eine breite fachliche Debatte initiieren“.

Als eine Neuerung im Rahmen der Tagungen des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker gibt es zur Vertiefung der internationalen Fachbeziehungen eine internationale Gastsektion, die in diesem Jahr der polnische Berufsverband stellt. Unter Leitung von Prof. Ryszard Kasperowicz, Inhaber des Lehrstuhls für Kunsttheorie an der Universität Warschau, und Prof. Piotr Korduba, Direktor des Instituts für Kunstgeschichte an der Universität Posen, wird der deutsch-polnische Austausch aus kunsthistorischer Sicht befragt.

Den Kunsthistorikertag wird Prof. Ulrich Raulff im Neuen Schloss mit einem Festvortrag über „die gute Form und den schlechten Geschmack“ in der Kunstgeschichte eröffnen. Raulff ist Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), Stuttgart/Berlin. In den fünf Tagen wird in zahlreichen Sektionen und Foren über FORM FRAGEN diskutiert. Der Kongress richtet sich an die breit aufgestellte Fachcommunity, die an Universitäten, Museen, in der Denkmalpflege oder freiberuflich tätig ist, strahlt jedoch durch sein umfangreiches Rahmenprogramm auch weit in die Öffentlichkeit aus. 1984 war der Kongress erstmals in Stuttgart zu Gast. Anlass war damals die Eröffnung des Erweiterungsbaus der Staatsgalerie von James Stirling.

Das Programm des Kunsthistorikertages ist online erreichbar unter https://kunsthistorikertag.de/programm/.